Holger Benkel

BERGMANNS ARTHUR IST ARTHURS BERGMANN

Ein Beitrag zur Versöhnung von Lebensgenuss und Utopie

Man hat die "Arthurgeschichten" von Ulrich Bergmann "Sinn-Philosophie ins Narrative übersetzt" oder "virtuelle Legenden" genannt und eine Nähe zum Taoismus oder Existentialismus darin entdeckt. Manches erinnert auch an die paradoxen Argumentationen der Sophisten. Der Autor selbst nennt seine Texte ironisch "gedankenmusikalische Polaroidbilder zur Illustration einer heimlichen Poetik des Dialogs". Kritische Stimmen misstrauten abwechselnd der Leichtigkeit und dem Geistvollen dieser Prosaminiaturen. Synthesen aus beidem gehören freilich zur Eigenart der Bergmannschen Geschichten, in denen der Autor seine Erfahrungswelt gleichermaßen emotional freisetzt und intellektuell lenkt und auf die zutrifft, was Friedrich Rückert über den persischen Dichter Hafis schrieb: "Hafis, wo er scheinet Übersinnliches/Nur zu reden, redet über Sinnliches;/Oder redet er, wo über Sinnliches/Er zu reden scheint, nur Übersinnliches?/Sein Geheimnis ist unübersinnlich,/Denn sein Sinnliches ist übersinnlich.".

Geistig wach und sinnlich genussvoll, aber genauso sinnlich wach und geistig genussvoll, lässt Ulrich Bergmann, der nach dem Ganzen sucht und doch weiß, dass er es nur im Einzelnen findet, seine Sinneseindrücke durch seine Gedanken, wie diese durch jene, hindurchgleiten und setzt sie aus sich heraus, dass sie dem Leser lakonisch, heiter, ironisch, nachdenklich begegnen. Indem er Partikel aus seinem Unbewussten herauslöst, inszeniert er ein Bewusstseinstheater mit wechselnden Masken. Akteure seiner Texte sind Arthur und die Ich-Gestalt, zwei intellektuell-artifizielle Figuren, die, vorzugsweise in Theatern, Opernhäusern, Galerien, Museen, Cafés und Restaurants, Orten ihres Lebensgenusses, eine Geist- und Theaterwirklichkeit entfalten und dabei ihre Erfahrungen und Einsichten in einer Art Diskursmanege miteinander reflektieren, worin Arthur meist die erzählende, offensive, herausfordernde und die Ich-Figur mehr die fragende, relativierende, beruhigende Rolle einnimmt. Als Gedankenpantomimen bedenken sie Ambivalenzen und Abgründe, die durchaus existenziell sein können, nicht schwermütig, skeptisch allerdings schon, sondern spielerisch. Besonders die Arthur-Figur hat oft etwas von einem Gaukler, Bajazzo, Pojaz, Pantomimen, Marionettenspieler, Akrobaten, Charmeur oder Flaneur.

Das Theatralische ruft die Motivwelt herbei und umgekehrt. Zugleich berührt sich das Spiel, das Realitäten transzendiert und rituelle Momente enthalten kann, auf individuelle Weise mit Kult, Fest, Überwirklichkeit. Theater und Spiele gingen aus dem Kult hervor, der selbst heiliges Spiel war. Ebenso wurzelt das philosophische Denken im mythischen. Theater wie Philosophie waren im Prozess der Antike Formen einer neuen Subjektivität und Relativierung gegenüber der Unbedingtheit von Mythos und Kult. Noch heute ist das Theater magischer Boden, und Ort der Kultivierung von Gefühlen, auf der Bühne wie im Publikum. Für Ulrich Bergmann bedeutet Spiel zuallererst freie und gelebte Kreativität. Indem er nach schönem und geistreichem Leben sucht, entwickelt er zugleich eine spielerische Lebensphilosophie und setzt sein ästhetisches Potential aus sich heraus. Dabei grenzt er sich vom Leistungsethos der Sportspiele ab, fühlt sich auch den zur Konvention gewordenen kulturellen Spielregeln der Gesellschaft nicht ohne weiteres verpflichtet und fragt sich vielmehr, Unbewusstem auf der Spur, was mit ihm oder in ihm spielt. "Wir spielen mit uns, denkt Arthur, das Spiel ist so ernst, dass wir kaum spüren, wie wir uns verspielen." heißts in "Verspielt". Wo der Spielcharakter einer Kultur, der etwas potenziell Subversives hat, aufgegeben wird, besteht die Gefahr der Erstarrung kultureller Lebensformen. Umgekehrt kann das forcierte Spiel mit Ornamenten und Attributen, wie die römische Spätantike zeigt, auch den Untergang einer Kultur ankündigen.

Zum homo ludens gehört das Rituelle, Darstellende, Theatralische, Tänzerische, Wettstreitende, Unterhaltende, Unernste, Scherzende, Komische, Parodistische. Bei Vergil bezeichnet lūdere ausdrücklich auch das Dichten. Ausgangsbedeutungen des deutschen Worts Spiel sind Tanz, tanzen, tänzerische Bewegung, sich lebhaft bewegen. Spielmann hieß der Spaßmacher, Gaukler, Schauspieler, fahrende Sänger, Musikant. Ein spielerischer, theatralischer, musikalischer und tänzerischer Charakter, der Erlebnisformen der Realwelt verfremdet, ist auch für die "Arthurgeschichten" konstituierend, wobei das ästhetische Wahrnehmen, inspiriert von Energien der Seele, schöne Frauen und Espressos häufig nahebei, bisweilen ins Erotische und Kulinarische übergeht und damit verschmilzt. Spiel und Erotik sind eng verwandt. Man spricht von Liebesspiel und Minnespiel. Altindisch nannte man den Liebesakt das Juwel der Spiele. Lateinisch lūdus = Spiel, Kinderspiel, Kurzweil, Zeitvertreib, öffentliches Schauspiel, konnte zugleich das Liebesspiel meinen, lūsor neben Spieler und Spötter den Dichter tändelnder Liebeslieder.

Liebesfähigkeit ist ein zentraler Anspruch Ulrich Bergmanns. Seinen Geschichten insgesamt liegt ein liebendes Verhältnis zur Wirklichkeit zugrunde. Dem entspricht die Verlebendigung des Gegenständlichen, etwa wenn Arthur in "Komische Elegie" im Museum einer bevorzugten weiblichen Plastik über den Rücken streicht und dann glaubt, die andern Plastiken seien eifersüchtig, so dass der weitere Ausstellungsbesuch zu einem Spießrutenlauf durch seine Einbildung wird, der letztlich eine narzisstische Vision ist, denn er möchte von allen geliebt werden. Diese Geschichte erinnert natürlich an Pygmalion, der bei Ovid ein Abbild der idealen Frau aus Elfenbein schnitzt, sich in die Statue verliebt, von der manche auch behaupten, sie sei das Idol der Aphrodite gewesen, bis die Göttin bewirkt, dass die Plastik lebendig und zu seiner Frau wird. Eine liebesvolle Beziehung hat der Autor auch zur Musik. Und die Beherrschung eines Instruments heißt ebenfalls Spiel. Arthur und sein Autor lieben das kultivierte und nicht das animalische Spiel. Sie brauchen weder das Hasardspiel, also die Spielhölle, noch das Liebesspiel des Bordells, weil sie selber über genügend geistige und kulturelle Spielerotik verfügen, mit der sie sich ihren eigenen und ganz individuellen Spielhimmel auf Erden errichten und existentiellem Druck autonom entgegnen können. Die "Arthurgeschichten" enthalten eine Philosophie der ewigen Jugend, die auf permanenter Erneuerung beruht und worin die Figuren sogar ihre Abstraktionen sinnlich erfahren. Freilich weiß Ulrich Bergmann, wenn er sein Leben in seinen Texten dialektisch paradox durch Spiel, Theater, Phantasie erweitert, dass die ungedachten Gedanken und die unrealisierten Pläne immer perfekter als die gedachten und gelebten sind und der ideale Text eigentlich Liebesakt, Geburt, Sterbemoment, Seelenwanderung, Auferstehung und Erleuchtung vereinen müsste.

In "O Fortuna" erkundet der Autor die Welt des Jahrmarkts, auch dies eine Sphäre des Spiels, und lässt die Ich-Figur fragen, "welche Jahrmarktsensation sich als stärkste Weltmetapher in mir aufspielt." In die engere Wahl gezogen werden Achterbahn, Karussell und Riesenrad und schließlich die Losbude. Kinder erleben Kulturgeschichte im Zeitraffer. Der Jahrmarkt besteht aus Resten alter Kultur. Philippe Ariès nannte Spiele in seiner "Geschichte der Kindheit" "eine Art Sammelbecken für kollektive Äußerungen...die von der Gesellschaft säkularisiert" wurden. Spielzeug und Kinderspiele sind vielfach aus magischen Gegenständen und rituellen Handlungen hervorgegangen. Die Achterbahn assoziiert Initiationshöhlen, in denen die Kindheit durch ein inszeniertes Grauen mit einem symbolischen Tod überwunden wurde. Im Karussell reiten die Kinder selber auf wilden Tieren, von denen sie einst in freier Wildbahn bedroht waren, wodurch sie sich als Herrscherinnen und Herrscher der Welt fühlen können. Das Riesenrad erinnert an das Weltenrad. Das Los folgt dem Losorakel wie das Würfeln dem Würfelorakel. Mit Losen wie Würfeln, die in der Hand von Priestern und Orakelmeistern waren, ist einst über Leben oder Tod, Frieden oder Krieg entschieden worden.

Ein wichtiges Merkmal der "Arthurgeschichten" sind die fließenden Übergänge zwischen Ich und Du, Seelenraum und Außenwelt, Betrachter und Darsteller, Werk und Person, Fiktion und Wirklichkeit, Visionärem und Profanem, Theorie und Praxis, Natur und Kultur, Kunst und Leben, Konkretem und Abstraktem, Empfinden und Denken, Sinnlichkeit und Simulation, Nervenfasern und Buchstaben, Körper und Kostüm, Identität und Maskerade, Original und Kopie, Echtheit und Täuschung, Realität und Legende, Spiel und Philosophie, Tanz und Geist, Frage und Antwort, Wahrheit und Lüge, Betroffensein und Rollenspiel, Ursache und Wirkung, Genuss und Leiden, Sieg und Niederlage, Anziehung und Abstoßung, Annahme und Abwehr, die das eine mit dem jeweils andern verbinden und vermischen, notfalls auch kompensieren, und womit der Autor nicht allein die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt überschreitet und aufhebt, sondern auch jene innerhalb des Subjekts selbst, das sich so leichter von Zwängen und Verhärtungen freihalten kann. Die Figuren seiner Geschichten verwandelt sich vieles und vielem an. In "Etikette" sagt Arthur, dass er Masken trägt, damit er freier sei, das heisst die Energien der Maske aneignen, sich darin unbefangen ausprobieren und seine Subjektivität ins Objektive transformieren könne. In "Das Angebot der Nachfrage" bietet Arthur sich, oder besser seiner gespeicherten Stimme, die er auf seinem Anrufbeantworter hört, das Du an.

Indem Ulrich Bergmann, dessen reflexives Denken und Schreiben seiner geistigen Natur entspricht, mit dialektischen Paaren spielt und deren Antipoden ineinander übergehen und umkippen lässt, führt er uns Beispiele für die Relativität der Erkenntnis und des menschlichen Wahrnehmens überhaupt vor. Immer denkt er das Mögliche, und manchmal auch Unmögliche, die Umkehrung und Verwandlung des Vorgefundenen und Sichtbaren mit. Jedwedes wird auch von seinem Gegenteil her und als sein Gegenteil betrachtet. Gegensätze werden so ständig neu aufgehoben. Die Reflexion reflektiert sich selbst. "Jeder Schritt ein Irrtum, denke ich, aber jeder Irrtum ein Schritt in die richtige Richtung." heißt es in "s.t.". Alles Erkennen bleibt Momentaufnahme. Und jedes Verstehen ist relativ. Es gibt kein Endprodukt des Erkennens. Gerade was wir nicht begreifen, fordert uns heraus. Ein irisches Sprichwort sagt, wer glaube, etwas verstanden zu haben, sei falsch unterrichtet. Der Zustand zwischen Frage und Antwort ist der des eigentlichen Seins. Aufgeklärtes Denken verlangt, dass jeder Antwort die originellere neue Frage folgt. Wer ohne Fragen und Zweifel, nicht zuletzt an sich selbst, lebt, mindert seine ideellen Antriebe. Zugleich enthält Reflexivität oft auch etwas ironisches. Die höchste Ironie wäre das sich selbst reflektierende Nichts.

Die Bergmannschen Texte unterwandern und übersteigen den Glauben an die Unausweichlichkeit vorgefundener Realitäten oder gar von Schicksalskräften, die entweder/oder-Prinzipien folgen. Immer wieder zeigen sie, dass Wirklichkeiten außerhalb der sichtbaren und gelebten Realität existieren. "ich ahne die gleichzeitige Existenz aller möglichen Welten." sagt Arthur in "Die Würfelfalle". Und die Fähigkeit, verschiedene Wirklichkeiten wahrzunehmen und durch die Geschichte hindurch zu blicken, stimuliert die Gabe, Jetztzeiten aufzubrechen. Überdies fördert das vermischende und relativierende Prinzip Toleranz, indem es einem Glauben an die Reinheit von Ideen entgegnet, der nicht selten dogmatisch auftritt. Die Differenz eröffnet Möglichkeiten der Sublimierung und baut nicht, wie oft im alltäglichen Leben, Verächtlichkeiten und Feindschaften auf. Allein diese Denkart ist utopisch im positiven Sinne. Die Subjektivität der Betrachtung wird dabei nie verleugnet, während viele in der wirklichen Welt ihre eignen Vorurteile, die ihren momentanen egoistischen Interessen dienen, als objektive Wahrheiten ausgeben. Wir sehen hier also ein ausgesprochen versöhnendes und friedensförderndes Konzept am Werke, das allerdings eine gewisse Saturiertheit verlangt. Von Deklassierten kann man dieses Maß an Sublimierung und Toleranz nicht verlangen. "Das Recht des Verzweifelten, das Recht dessen, der keinen Ausweg, keine Ruhe, keine schmerzlose Stunde findet: er untergräbt die Bedingungen des Lebens." schrieb der polnische Schriftsteller Stanislaw Przybyszewski

Die "Arthurgeschichten" beschreiben ein Ich, das seine innere Dialektik findet, indem es beständig sein Gegen-Ich inszeniert, bis dieses ihm als Du erscheint, so dass sich beide, während die Übergänge zwischen ihnen fließend werden, fort und fort bewegen und ineinander aufheben, wodurch das Ich permanent im Du erwacht und umgekehrt. "Mein Ich spielt mit seinem Gegen-Ich, und derart schizophren bringe ich mich wechselseitig um, Stück für Stück. Meine Lebenskunst ist ein permanenter Selbstmord zum Leben hin." ("le quattro stagioni") lautet eine zentrale Aussage dieser Texte, die auch benennt, wie man Entfremdung sublimieren kann, damit sie als Kulturzustand auftritt und Trennungsenergien in Lebensenergien verwandelt. Des Autors, oder seines Arthurs, Ich, bzw. die Ich/Du- und Du/Ich- Abspaltungen- und Synthesen beider, brauchen, da sie sich selber zum Altar machen, worauf sie, stets neue Facetten ihrer selbst zeugend, beständig wandeln, kein dominantes Über-Ich. Das Über-Ich, das einst Infantilität zu überwinden half, wurde später selbst infantil und musste so ebenfalls überwunden werden. Deshalb der Abtritt der Götter, Kaiser, Patriarchen. Und die Überwindung konnte einzig durch ein sublimiert gestärktes Ich gelingen, das sich mit dem Es der Psychoanalyse, des Surrealismus und der Philosophie verbündete. Auf die Frage, ob daraus ein Über-Es entstehen könne, das erst diabolisch und später auch tyrannisch herrscht, erwidert Ulrich Bergmann, der sich gleichermaßen autonom gegenüber Über-Ich, Es und Aussenwelt halten will: "Die interne Affirmation meines Ichs (ich, Gott, bete mich an) ist die dialektische Voraussetzung seiner Aufhebung. Die Synthese ist nicht die Herrschaft eines Über-Es, sondern die Erhebung meines Unter-Ichs zu einem Ich der freien Mit-Ichs." ("Arthur.Documental"). Eine einseitig vernunftgelenkte Herrschaft des Ich hingegen, die dem Es nicht genügend Spielraum lässt, könnte kreative Energien lähmen.

Die "Arthurgeschichten" sind erfundene Anekdoten, die der Ich-Kult formiert. "Ich lebe eine unio mystica mit meinem alter ego, also mit der Welt in und außer mir...Das Fragment ist das Atom des Ganzen...Dabei ist mein spielendes Ich absolutistisch stark: Ich leite mich von mir selbst ab." ("Arthur.Documental"). Zugleich ironisiert der Autor das egozentrische Weltbild. Denn die Bergmannsche Methode der spielerischen Reflexion und des reflexiven Spiels ermöglicht beides: Befreiung aus den Abhängigkeiten rotierender Normen und normativer Rotation und Persiflage eines nur scheinbar freien Daseins. Hintergründig parodieren und travestieren manche Texte, indem das eine Ich das andere spiegelt, Größenphantasien und Eitelkeiten. So lassen sich Verformungen des einen im andern erkennen und ausgleichen. Und es entsteht ein entspanntes und nachsichtiges Einverständnis mit dem Wirklichen in gelebter Widersprüchlichkeit. Ulrich Bergmann durchlebt seine Verkörperungen, um dauerhaft beim eignen Ich zu bleiben. Das nenne ich das Rotationsprinzip seiner Subjektivität: durch Aufsplitterung und Verwandlung ganz werden und sein.

Darsteller und Betrachter, Erzähler und Erwiderer dieser Geschichten sind Teile, oder wenigstens Repräsentanten, des Autoren-Ich, das sich in seinem eignen Mikrokosmos erschafft. Eben darin besteht wohl der tiefere Sinn eines Satzes wie "Ohne mich, denkt Arthur, läuft überhaupt kein Stück." ("Göttliche Komödie"). In "Ego ergo sum" malt Arthur den lieben Gott an die Wand und sagt sich: "Wenn ich stürbe, würdest du mir fehlen.". Wenn Bergmanns Arthur als gottgleicher Schauspieler absolut über den Dingen stünde, mit denen man erfahrungsgemäß besser spielt als von ihnen bewegt zu werden, könnte er glauben, das Weltganze hinge von ihm ab und müsste zusammenbrechen, sobald sein Erleben versiegt. Da Arthurs Bergmann aber im Realleben steht, inszeniert er, Material und Zeuge seiner Geschichten, seine Größenphantasien bloss literarisch. Das Verlangen nach sublimer Selbstheroisierung und heroischer Selbstsublimierung scheint dennoch durch. "Und was ich nicht werden kann, spiele ich in meinen Figuren." (Arthur.Documental"). Verwandlung, Auferstehung und Ewigkeit, alles Merkmale des Göttlichen, sind die Traumziele dieser Geschichten. Man kann dies eine gelebte Religiosität ohne Religion nennen. Die Größenphantasien erscheinen hier nicht zeitgeistgemäß technisch, geschwindigkeitsintensiv oder gewaltgeladen, wie in vielen Produkten der Kommerzkultur, sondern artifiziell sublimiert. Das Leben wird literarisch als Kunst wie die profane Kultur durch gesteigerte Kultivierung aufgehoben. "Der dialektische Eskapismus ist eine weitere Voraussetzung, die eigene, und dann die Wir-Geschichte zu gestalten." vermerkt Ulrich Bergmann ("Arthur.Documental"). Dabei können die Figuren aus sich heraustreten, neben sich stehen und sich beobachten. Und ihre spielerisch und narzisstisch gesteigerte Individualität führt nicht selten sogar zu einer Verobjektivierung der Selbstbetrachtung. Freilich sind die "Arthurgeschichten" ironische Utopien. Arthur ironisiert seine Pirouetten häufig selbst, bevor er stürzen kann. In "Einbildung" verschafft ein Espresso "inwendig mediterrane Sanguinität". Schließlich ersetzt im realen Leben meist konventionelle Privatheit Individualität und stellt dann bloss noch die Farce des gesellschaftlich nicht möglichen dar, genauso wie die individuelle Meinung oft nichts weiter ist als der Grad ihrer Abweichung vom Zeitgeist und auch die Gesten und Worte des (Lebens)theaters häufig nur Dinge sind, die gehandelt werden.

Michel Foucault sprach, auf Gilles Deleuze bezogen, von einer "Philosophie des Phantasmas", die, um die Differenzen zu befreien, ohne Kategorien auskomme, indem sie das Ungreifbare "nicht als Wahrnehmung oder als Bild einer ursprünglichen Gegebenheit unterwirft, sondern es zwischen allen Oberflächen und in der Verkehrung des Innen zum Außen und des Außen zum Innen und zwischen dem Vorher und Nachher spielen lässt...in einer ´unkörperlichen Materialität´“. dies meint ebenfalls die Erschaffung einer ewigen Denk-Jugend durch permanente Verwandlung und Erneuerung, die aus nomadisch erfahrener Vielgestaltigkeit entsteht. Denken hiesse, schrieb Foucault, "das Phantasma einmal wirklich werden lassen; … das Ereignis unendlich machen, damit es sich als das universelle Einzige wiederhole. Absolut denken hieße also das Ereignis UND das Phantasma denken: Ja: wenn das Denken das Phantasma theatralisch zu realisieren und an seiner äußersten Spitze das universelle Ereignis zu wiederholen hat, dann ist das Denken selber das Ereignis, das dem Phantasma zustösst, und die phantasmatische Wiederholung des abwesenden Ereignisses. Phantasma und Ereignis sind in Disjunktion affimiert DER GEDANKE und DAS DENKEN...Ist die Physik der Diskurs von der idealen Struktur der Körper, der Mischungen, der Reaktionen, der Mechanismen des Innen und Außen, so die Metaphysik der Diskurs von der Materialität des Körperlosen, der Phantasmen, Idole und Trugbilder." ("Theatrum Philosophicum"). Foucault betonte allerdings, dass dies nicht Übereinstimmung von Subjekt und Objekt bedeute und Deleuze nicht versucht habe, Ereignis und Phantastik zu versöhnen. "In den Gebieten, mit denen wir es zu tun haben, gibt es Erkenntnis nur blitzhaft." heißts bei Walter Benjamin. Solch blitzhaftes Aufscheinen enthalten auch viele der Geschichten Ulrich Bergmanns.

In "Göttliche Komödie" lesen wir den relativierenden Satz: "Die Summe aller Stücke, die ich spiele, ergibt kein ganzes Stück." Damit sind Partikularität und Zerrissenheit des modernen Menschen bezeichnet, die bis in seine Fiktionen hineinreichen, weshalb auch die Seelentheaterbühne keine umfassend bergende Ganzheit einer Gegenwelt zu sichern vermag. Wer anhand dieser Texte individuelle Verwundungen erkunden wollte, könnte das virtuose Spiel auch als Abwehrstrategie gegenüber Ängsten erkennen, die Bedrängnisse, verborgen unter einem Schleier der Latenz, immer nur kurzzeitig erscheinen lässt. Durch Substitution lassen sich zudem Ursehnsüchte, von deren Erfüllung man sich eigentlich entfernt, stets neu anstreben und im Schein fortgesetzt kultivieren. Die spielerische Umformung objektiv schwer lösbarer Konflikte, die eine Negation derselben vortäuscht, stimuliert das Lustempfinden.

Es geht Ulrich Bergmann letztlich um das Entwickeln und Bewahren einer subjektiven und lebbaren Identität durch alle Widersprüche und Hinterfragungen hindurch. Das reflektierende Ich ist sozusagen das Auge des Orkans, das bei allen Transformationen stabil, gelassen, ruhig bleibt. Derart kann der Autor zugleich die Verdinglichung der Seele und des Geistes und die Seelen- und Geisteswanderungen der Dinge beschreiben. "Die wahre Methode, die Dinge sich gegenwärtig zu machen, ist die, sie in unserm Raum (nicht uns in ihrem) vorzustellen (so tut der Sammler, so auch die Anekdote)." notierte Walter Benjamin ("Das Passagen-Werk").

In "Selbstinventur" versucht Arthur die Schizophrenie zu überwinden, indem er in einem Traum im Kaufhaus seine eignen Kleider, die ihm per Werbung in seinem Namen angeboten werden, obwohl, oder weil, er sie bereits trägt, noch mal erwirbt, um sich vom Markt freizukaufen, die Annahme folgend, man könne durch subjektiv praktizierte Paradoxie unterwandern, was einen objektiv abhängig halte und manipuliere, bis diese Subjektivität der Handhabung, so die Hoffnung, objektiv wirke. Dies ist auch ein Versuch, den Handel in die Sphäre des Spiels zurückzuholen. "Die Entwertung der Dingwelt in der Allegorie wird innerhalb der Dingwelt selbst durch die Ware überboten." schrieb Benjamin in "Charles Baudelaire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus". "Es war das Unternehmen von Baudelaire, an der Ware die ihr eigentümliche Aura zur Erscheinung zu bringen. Er suchte die Ware auf heroische Weise zu humanisieren. Dieser Versuch hat sein Gegenstück in dem gleichzeitigen bürgerlichen, die Ware auf sentimentale Art zu vermenschlichen: der Ware, wie dem Menschen, ein Haus zu geben. Das versprach man sich damals von den Etuis, den Überzügen und Futteralen, mit denen der bürgerliche Hausrat der Zeit überzogen wurde.". Das Haus der Bergmannschen Waren ist das Theater seiner Geschichten.

Die moderne Kultur besteht aus tausenden Partikularmythen, die sich vorzugsweise um Geld, Eigentum, Recht und Medien drehen. Der Autor erspürt Paradoxien selbst im Rechtssystem, das vorgibt, besonders rational und logisch zu sein: "Ich habe mir eine Lebensversicherung aufschwatzen lassen, sagt Arthur. Dann kannst du leichter sterben, sage ich. Nein, sagt Arthur, ich lebe leichter. Wieso, sage ich, ist dein Leben nun sicherer geworden? Nein, sagt Arthur, mein Tod. Da machst du aber kein gutes Geschäft, sage ich. Im Gegenteil, sagt Arthur, je früher ich sterbe, um so grösser der Gewinn." (Todsicheres Leben") .

Ulrich Bergmanns Texte stellen Fragen, die weit in die Zukunft hinein gedacht sind und deren Antworten er wenigstens in Anklängen schon in der Gegenwart erfahren will, inbegriffen die Frage, wie man Desillusionierungen immer wieder ins inspirierend Kreative und Utopische aufheben kann. Wenn Ulrich Bergmann schreibt "Ich will die absolute Herrschaft des Ich, die eine intersubjektive Vernunftherrschaft des einzelnen über sich selbst ermöglicht. Erst solche Ichs, die eine Herrschaft des Über-Ich nicht benötigen, erlangen die Freiheit, eine mündiger lebbare Außenwelt zu erschaffen." ("Arthur.Documental"), so formuliert er einen weitgreifenden Anspruch, der einige Fragen aufwirft: müsste eine absolute Herrschaft des Ich, die das Über-Ich, statt es zu integrieren, abdrängt, nicht zumindest bei jenen Menschen verschärfte Orientierungslosigkeit und infolge dessen patriarchalische und zwanghafte Sehnsüchte hervorrufen, die sich ohnehin einer unübersichtlichen Welt und Kräften, die sie selber nicht beeinflussen können, gegenübersehen? Kann die geistig und ästhetisch hedonistische Lebensart, der die "Arthurgeschichten" entsprechen, tatsächlich umfassend befreien oder muss nicht auch diese Utopie, als eine bloß andere Quadratur des Kreises, am Egoismus der meisten scheitern? Und wer hilft jenen, die vorm Eintreten der Ich-Freiheit am Elend der Verhältnisse zugrunde gehn? Oder ist das Bergmannsche Postulat, indem darin lediglich ein narzisstisches Ich seine Weltsicht ins Utopische transzendiert, garnicht gesellschaftsbezogen gemeint? Dann wäre zu fragen, ob sich das Postulierte derart nicht selbst aufhebt und auf seinen Urheber zurückfällt. Oder trifft hier gar zu, was Gilles Deleuze und Felix Guattari in "Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie" schrieben: "Das Unbewusste hört auf, das zu sein, was es ist: Fabrik, Werkstatt, und wird an deren Stelle Theater, Bild, Inszenierung."? Das theatralische Wahrnehmen und Agieren ginge so leicht ins affirmative über. Klinisch perfekt ist der Mensch freilich erst, wenn er abends seinen alten Körper ablegt und sich morgens einen neuen anzieht.

Dass die „Arthurgeschichten“ utopische Ansätze und Impulse enthalten, die nur individuell und nicht gesamtgesellschaftlich lebbar sind, verweist auf einen Widerspruch, der mit dem universalistischen Anspruch der Texte kollidiert. Vielleicht könnte man sagen, die Grenzen in der Wahrnehmung der Bergmannschen Figuren sind die Grenzen im gegenwärtigen bürgerlichen Bewusstsein, das privilegierten Verhältnissen entspricht und damit einer Menschheitsminderheitenerfahrung. Pierre Bourdieu verwies auf die Neigung Immanuel Kants, "das Universelle mit der Welt des kultivierten Menschen gleichzusetzen." Und womöglich ist es ein Grundirrtum westlicher Intellektueller, dass sie ihre eigenen Lebensformen allzu leicht für Welterfahrungen halten und daraus, nicht zuletzt weil ihnen ihre Privilegien als Ausdruck moralischer Überlegenheit erscheinen, Daseinsmodelle entwickeln, die der Mehrheit der Erdbewohner unrealistisch erscheinen müssen. Indem die globale Marktwirtschaft permanent soziales Unrecht produziert, gegen das die bürgerlichen Sublimierungen den meisten Menschen weltweit wenig helfen, gefährden sich die westlichen Kulturen letztlich selbst. Wer Armut billigt, muss sich über die Gewalt, die daraus entsteht, nicht wundern. Oder bildet die kulinarische Lebensweise gar bloß ein Kontrastprogramm zum Weltekel? "Der spleen ist das Gefühl, das der Katastrophe in Permanenz entspricht." vermerkte Walter Benjamin zu Baudelaire. Jedes Privilegiertsein tendiert, subjektiv oder objektiv, bewusst oder unbewusst bleibend, zum Zynismus, der zumindest dort auch wieder militant werden kann, wo der kultivierten Moral die Privilegien genommen werden. Natürlich wissen Arthur und sein Schöpfer, wie sehr sich ihre Lebensentwürfe von der Lebensweise der Massen unterscheiden. Und der Autor übersieht auch nicht, dass die ökonomischen Strukturen, die der westlichen Welt Reichtum und letztlich auch Kultur bringen, in anderen Teilen der Welt entsetzliches Elend hervorrufen, also barbarisch wirken. Zugleich weiss er um die sublimierenden Differenzierungen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, die er nicht aufgeben möchte. Schliesslich müssen Bürgertum und Kapitalismus nicht identisch sein.

Ulrich Bergmanns Texte beschreiben permanente Auferstehungen ins Leben. Seine Todesphilosophie ist eine Lebensphilosophie und der Tod darin eine Sphäre des Übergangs. Der Gegensatz von Leben und Tod wird aufgehoben und der Tod zu einem Teilhaber am Leben, ja selbst lebendig. In "Salto saltado" lesen wir: "Der Tod ist ein Künstler...Weil er weiter denkt als wir, sagt Arthur. Der Tod kennt keine Grenze, keine Regel, keine Zeit." Dies deckt sich mit dem Gedanken von Paul Virilio, „dass alle Kunst wie der Tod ist, ein Verharren im Augenblick, ein Tempowechsel in der Ordnung der Zeit.“ („Krieg und Kino. Logistik der Wahrnehmung“). Wiederholt denken der Autor und seine Figuren das Leben nach dem Tod ironisch mit. Spiel und Phantasie dienen geradezu der Überwindung der Todesangst und des Todes selbst. Das Spiel, das Leben heisst, muss letztlich freilich überfordern, weil es verloren wird. Der Autor, der Luftschlösser auf Erden und Gräber im Himmel kennt, glaubt nicht wirklich an ein Jenseits. Aber er spielt mit seinen Todesahnungen wie mit seinen Tröstungen. Bei Walter Benjamin findet sich der Satz: "Dem spleen ist der Begrabene das ´transzendente Subjekt´ des historischen Bewusstseins."

Nichts hat die menschliche Phantasie so sehr angeregt wie das unsichtbar gewordene Tote und das noch nicht geborene oder nicht lebbare Leben. Totenreiche waren die ursprünglichen Phantasiereiche und zugleich Räume der Erweckung und Erleuchtung. Freilich verlangt es, wirklich dort angekommen, göttliche Gaben, um daraus wieder ins irdische Dasein zurück zu gelangen, wo man die Erweckten und Erleuchteten eigentlich nicht will, weil sie beunruhigen. In "Tinnitus" begegnet Arthur der eigenen menschenvogelartig auferstandenen Seele. Die Sirenen, die im ägyptischen Ba-Vogel wurzeln, der Verkörperung des frei beweglichen und aktiven Teils der Totenseele, waren griechisch zunächst Totengeister, ehe sie Verführerinnen und später Schöpferinnen der Sphärenmusik wurden. Der Gesang der Seelenvögel lässt sich so auch als Sehnsuchtsgesang nach dem Leben deuten. Auf solche mythisch grundierten Motivfelder unterm scheinbar leichten Vordergrund stößt man bei Ulrich Bergmann immer wieder. Arthur tanzt in seiner Gegenwart durch die Jahrtausende.

Die Bergmannschen Anekdoten, in denen sich Stilmittel der Kalendergeschichten und Anekdoten von Bertolt Brecht und Johann Peter Hebel, aus Kafkas allegorischer Prosa und Dialogformen des absurden Theaters, punktuell auch der "Erzählungen der Chassidim" Martin Bubers und der Funkessays Arno Schmidts, finden lassen, das heißt von Spielarten der Literatur, die auf jeweils eigene Weise das Dialektische und/oder Paradoxe/Absurde ins Zentrum rücken, suchen durch ihre dialogischen Angebote geradezu den Diskurs mit dem Leser. Und sie enthalten, da sie Normen, Konventionen, Gebote und Tabus aushebeln, und zwar, weil spielerisch, operativ und behutsam zugleich, ohne Verbitterungen und Verbissenheiten, eine Dialektik des paradoxen Erprobenswerten und erprobenswerten Paradoxen. Der Autor beschreibt seine Figuren, in denen Realerfahrung und Kunstvision, Kunsterfahrung und Realvision ineinander übergehn, als Akteure eines Laboratoriums, das in seinem Denkimpulse stiftenden Charakter übers rein Literarische hinausweist. Sie spielen durch, also erkunden, inwieweit künstlerische und geistige Techniken lebensreal anwendbar sein könnten, oder wo sie an objektive Grenzen stoßen oder gar zynisch wirken, etwa indem sie von Funktionalität vereinnahmt werden und zuletzt erneut bloss die Erkenntnis bleibt, dass auch der Schein, der kultiviert, nur die Vorwegnahme des Todes im Leben ist. "die stärksten Gedanken werden schwach, wenn sie mit der Mode gehen." heißts in "Narrenmode". Bilder decken Wirklichkeiten, bis sie zu Kadavern werden.

Die spielerisch gewonnene innere Freiheit wirft immer wieder Fragen nach der uneingelösten gesellschaftlichen auf. "Ich kann trotz der sanft utopischen Intention, die meinen Arthurgeschichten innewohnt, nicht verhindern, dass sie zugleich zutiefst pessimistisch gedacht werden können (die Arthurgeschichten sind Arthur Schopenhauer heimlich gewidmet); weil sie beides sind: Utopie als Trotz- und Trostgrund, also Religion, und Spiel mit dem Tod aus tiefer Resignation; also der Versuch, mitten auf der Flucht die Laufrichtung zu ändern. Mein höchster Wunsch ist Selbsterschaffung als Gegenbewegung zur Welt, wie sie mir widerfährt und mich verwundet." ("Arthur.Documental").

Wer sich mit der Rationalität der Geschichte abfindet, ist ihrer Irrationalität ausgeliefert. Sachzwänge bleiben die zu stürzenden Gottheiten der Gegenwart. "Die Konstruktionen der Geschichte sind Instruktionen", in einer andern Fassung der gleichen Textstelle steht "militärischen Ordres", "vergleichbar, die das wahre Leben kommandieren und kasernieren. Dagegen der Straßenaufstand der Anekdote. Die Anekdote rückt uns die Dinge räumlich heran, lässt sie in unser Leben treten." schrieb Walter Benjamin ("Das Passagen-Werk"). Die entscheidende Frage ist hier wohl, ob man aus den Zwängen der Geschichte nur heraustritt, die Illusion eines Lebens in geschichtslosen Räumen erfasst immer wieder Menschengruppen, ja Völker und Kulturen, oder sie wirklich verändert.

Gesucht wird im Grunde der Moment, wo die Sublimierung Explosionen auslöst. Zugleich bewahren Spiel und Ironie vor einer Radikalität, die verletzen und zerstören könnte. "Soll ich mein kleines Glück dem Interesse einer Revolution opfern, die mein Glück vernichten müsste?" schrieb Ulrich Bergmann in einem Brief. Der Utopismus seiner Geschichten tritt derart gewandt auf, dass er, indem er sich selbst auszuweichen vermag, scharfe Konfrontationen vermeidet. "Meine Idee würde das Leben erschlagen, wenn ich sie verwirkliche...Andererseits ist die Wirklichkeit, wie ich sie erlebe, ohne meine Idee tot.". Ist der Lebenssinn, den wir uns geben, vielleicht überhaupt bloß eine Idee? Von außen und oben betrachtet sieht das menschliche Leben tatsächlich wie ein Marionettentheater aus, das festgelegten Regeln folgt und worin dennoch jeder auch seine eignen Fäden zieht. Wer indes alles durchschaut, ist oft bereits tot.

Der Autor spürt, dass jene Kräfte, die soziales Unrecht verursachen, auch kulturelle und geistige Werte an Ränder abdrängen. Er vertraut dagegen sublimierenden Transformationen, die das real Gegebene durch Kultivierung und Vertiefung wandeln und sucht die Potenziale dafür in der Wirklichkeit. Seine Anekdoten sind weniger Straßenaufstand als vielmehr versöhnlich, großzügig, weitherzig, integrierend, selbst wenn dies nur einer Entschleunigung des eigenen Scheiterns dient. Zuletzt folgt jedes Denken, das nicht hinreichend reflexiv ist und Gegensätze nicht vermittelt, doch wieder bloß abstrakten Automatismen und scharfe Grenzziehungen stimulieren Gewalt. Freilich verhüllen auch Ästhetisierung und Psychologisierung allzu oft nur ihre eignen Zwänge. Künftiges utopisches und revolutionäres Denken und Handeln wird mit der Sublimierung des Paradoxen einhergehn müssen, von dem es lebt und das ihm Sprengkraft gibt. Allein dass die Texte solche Fragen, die sonst eher selten gestellt werden, aufwerfen, ist ein Verdienst.

Man kann anhand der "Arthurgeschichten" über Zusammenhänge zwischen Dialektik und Paradoxie, Kultivierung und Heiterkeit, Spiel und Infantilität, Raffinesse und Schizophrenie nachdenken. Das Paradoxe darin ist zum einen Ausdruck einer Spannung, die gelöst sein will. Andererseits kann der Künstler, der durch seine Kunst in einem Spiel lebt, das ihn heilt, paradoxe Erfahrungswelten immer weiter verfremden und vertiefen, wo der Analytiker sie oft zerlegt und auflöst. Die Texte sind auch Selbsttherapie und Selbstprophylaxe, die das seelisch und fiktiv Gelebte in die Außenwelt hineinwirken lassen sollen. "Das Spiel mit dem Paradoxen ist eine Art geistiges perpetuum mobile." postulierte Ulrich Bergmann im Brief, das heißt Ursprung, Energiespender, Material, Medium und Ritual der Kreativität. Indem der Autor seine Negationen immer wieder aufhebt, kann er unablässig damit spielen und selbst die permanenten virtuellen Tode ins Leben zurückverwandeln, also sein eigenes perpetuum mobile sein. So gesehen können wir gar nicht genug Paradoxes schöpfen. Eine unreflektiert lebensreal inszenierte paradoxe Phantasie allerdings wäre letztendlich wohl barbarisch. Humanität verlangt immer auch Mäßigung, mithin Inkonsequenz. Jedes, und zumal spielerische, Distanzieren, Verfremden, Ästhetisieren trägt Elemente des Zynischen in sich. Man muss wirklich genau schauen, ob man die profanen Folgen, die Kunst und Literatur haben könnten, wenn sie welche hätten, wünschen soll. Zudem sollte gerade paradoxes Denken, wie alles, das auch auf Entfremdung zurückgeht, differenzieren und vermitteln, nicht trennen und polarisieren. Ein Gedanke, der sich nicht selber widersprechen kann, ist am Ende nicht sehr originell.

Holger Benkel, 2004